Laura Kutter ist beruflich im Tourismus zu Hause. Sie hat Tourismusmanagement studiert, war lange Zeit als Reiseleiterin in Spanien tätig und hat auch im Einkauf von Hotelkapazitäten umfangreiche Erfahrungen gesammelt. 2012 gründete sie gemeinsam mit ihrem Partner und ihrer Schwester den Reiseanbieter „Tour de Sens“. Ihr stetig wachsendes Reiseangebot richtet sich an sehbehinderte, blinde sowie sehende Menschen, die diesen Inklusionsgedanken schätzen. Das Team umfasst aktuell 13 Reiseleiter und 3,5 Mitarbeiter im Büro in Stuttgart.
Was war für Sie Antrieb und Motivation für die Existenzgründung?
LK: In meiner Anstellung haben mich die täglichen Routinen schnell gelangweilt. Ich wollte immer etwas Neues. Schon während des Studiums hatte ich den Wunsch die berufliche Selbstständigkeit mal auszuprobieren. In der Reisebranche gibt es viele sehr ähnliche Programme. Ich wollte mit einem anderen Blick an die Zusammenstellung der Reiseangebote herangehen, ohne zwingend bestimmte Erwartungen von Reiseanbietern erfüllen zu müssen. Auf einer Reise in der Sierra Nevada haben mein Partner und ich ein blindes Paar kennengelernt. Das war dann die Initialzündung, um für diese Zielgruppe ein Reiseangebot zu entwickeln. Dazu kamen noch externe Einflüsse, die den Schritt zur Existenzgründung beflügelten. 2010 war auch in Spanien die Wirtschaftskrise angekommen und wir mussten berufsbedingt nach Deutschland zurück. Außerdem hatte meine Schwester gerade ihr Masterstudium abgeschlossen und Lust in das Unternehmen einzusteigen.
Welche Erinnerungen haben Sie an die Anfänge Ihrer Selbstständigkeit?
Das Produkt, das wir auf den Markt geworfen haben, gab es so noch nicht. Reiseangebote für seheingeschränkte bzw. blinde Menschen wurden bis dato nur über Vereine abgedeckt. Außerdem war dieser Inklusionsgedanke, Sehende und nicht Sehende zusammenzubringen, neu. Unser Angebot wurde gut angenommen und gleich im ersten Jahr konnten alle (vier) Reisen durchgeführt werden. Der Beginn war auch sehr aufreibend, denn wir alle waren in unseren bisherigen Jobs tätig und das Reisebüro führten wir im Nebenerwerb. Anders wäre die finanzielle Situation in den Anfängen nicht tragbar gewesen. Das war schon eine abenteuerliche Konstellation und es gab Momente, da haben wir auch gezweifelt, aber rückblickend hat sich die Mühe gelohnt.
Wie war das mit der Kundengewinnung?
Um die blinden Reisenden anzusprechen, haben wir uns an die Vereine in der DACH-Region gewendet, in der die Blinden sich häufig organisieren. Dort sind wir an die Gruppenleiter herangetreten, die dann für uns als Multiplikatoren agiert haben, das war eine große Erleichterung. Schwieriger war es, die sehende Zielgruppe zu erreichen, hier mussten wir viel mehr recherchieren und analysieren. Das ist bis heute die größte Herausforderung, denn wir wünschen uns ein ausgewogenes Verhältnis. Zwischenzeitlich wissen wir aber über die Zielgruppe der Sehenden viel mehr: Sie ist eher weiblich, zwischen 40 und 60 Jahre und arbeitet häufig in sozialen Berufen. Diese Analyse ist wirklich wichtig, um sein Produkt richtig am Markt zu platzieren und wahrgenommen zu werden.
Wir haben zu Beginn unser Augenmerk z.B. zu stark auf die sehbehinderten und blinden Menschen gelegt und dabei die Bedürfnisse der nicht Eingeschränkten nicht ausreichend berücksichtigt. Sie hatten zu wenig Zeit für sich selbst und wir haben das Programm viel zu voll gestaltet. Es ist bei unserem Angebot aber wichtig, dass beide Zielgruppen glücklich sind, denn nur so funktioniert unser Konzept.
Welche persönlichen Tipps mögen Sie an angehende Existenzgründerinnen weitergeben?
Im Gründerseminar wurde mir oft vermittelt, dass der Hauptansporn für eine Gründung das Geld verdienen sein muss. Ich finde es jedoch ganz wichtig, dass man hinter seiner Gründungsidee steht und auch für sich eine Sinnerfüllung sieht. Auch um Investoren und Kunden zu überzeugen, ist das wichtig. Ansonsten steht man diesen nicht authentisch und glaubwürdig gegenüber. Auch die Beratungs- und finanziellen Angebote sollte man sich anschauen, das haben wir z.B. nicht gemacht. Ich hatte glücklicherweise einen Mentor, ein ehemaliger Chef aus der Reisebranche. Den konnte ich immer anrufen, wenn ich eine Frage hatte, das kann ich übrigens immer noch. Grundsätzlich finde ich das Netzwerken und den Austausch mit anderen Selbstständigen, auch aus der gleichen Branche, für den Austausch auf Augenhöhe sehr gut. Auch lernt man durch Kooperationen sehr viel und kocht nicht immer nur seine eigene Suppe.
Welche Entscheidung würden Sie heute anders treffen?
Ich würde heute frühzeitiger mehr delegieren, sowohl an Mitarbeitende als auch an Kunden. Auch würde ich mich wie schon erwähnt, stärker mit der Analyse aller Zielgruppen beschäftigen. Auch die Trennung von beruflicher und privater Zeit habe ich zumindest in den Anfängen zu wenig berücksichtigt. Dadurch erhöht sich die Lebensqualität enorm! Auch wenn das im Home Office natürlich viel schwieriger ist, aber auch hier sollte man diese Zeitfenster auseinander halten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Krisen in der Selbstständigkeit und was macht das mit Ihnen?
Die Corona-Krise hat mich völlig unerwartet getroffen. Ich finde, man muss sich in so einer Situation eingestehen, dass eine Schockstarre eintritt und man nicht sofort reagieren muss. Dieses Innehalten empfinde ich als wertvoll, um erst „verzögert“ aktiv zu werden. Sich auch bewusst zu machen, dass die Situation nicht auf eine persönlichen Unzulänglichkeit zurückzuführen ist und man selbst nichts falsch gemacht hat, finde ich wichtig.
Solche Krisen haben meist auch positive Seiten: Man muss z.B. einen anderen Blickwinkel einnehmen, aus dem heraus dann Verbesserungen entstehen können. Wir haben durch die aktuelle Krise gemerkt, was für ein tolles Verhältnis wir zu unseren Kunden haben. Denn die Mehrheit bucht auf eine spätere Reise um und storniert nicht. Die Bereitschaft zur Unterstützung ist so groß und dies wäre uns ohne die Krise nie so bewusst geworden.
Welchen beruflichen Wunsch hätten Sie an eine gute Fee, die vorbeifliegt?
Ich würde mir wünschen, dass ich unser Team gut durch die momentane Krise bekomme und wir auch weiterhin miteinander arbeiten können.
Wie und wohin reisen Sie privat gerne?
Bedingt durch meinen Beruf verbringe ich viel Zeit in Hotels, darum mag ich im Urlaub sehr gerne alternative Übernachtungsformen, wie Ferienwohnungen oder das Zelt. Auch bin ich gerne an einem Ort oder in einer größeren Stadt, um dann dort länger zu bleiben und nicht nur auf Kurzbesuch zu sein. Besonders gefällt mir Südwesteuropa, ich bin gerne in Spanien und Portugal. Die beiden Länder sind so vielfältig und haben so viele verschiedene Landschaftsformen.